Dr. Maryam Ohling - Zahnärztin mit Schwerpunkt Parodontitisbehandlung

In unserem neuesten Zahnarztinterview haben wir uns mit Frau Dr. Maryam Ohling ausführlich über die Volkskrankheit Parodontitis unterhalten. In ihrer Zahnarztpraxis „Zahnärzte am Kaiserplatz“ behandelt die erfahrene Zahnärztin bereits jahrzehntelang Patienten mit dieser chronischen Entzündung des Zahnhalteapparates.

Wir haben in diesem Gespräch sehr viel über die Ursachen dieser Erkrankung sowie über die Möglichkeiten der Vorbeugung und der unterschiedlichsten Behandlungsmethoden erfahren. Mehr dazu lesen Sie in nachfolgendem Interview.

Frau Dr. Ohling, bitte erklären Sie uns, um was es sich bei Parodontitis handelt? 

Das Wort „Parodontitis“ endet auf „itis“, das heißt, der Name beinhaltet schon, dass es sich um eine entzündliche Erkrankung handelt. Es betrifft aber nicht nur das Zahnfleisch, sondern auch den Knochen. Eine Parodontitis kann also unbemerkt eine Entzündung des gesamten Zahnhalte-Apparates hervorrufen. 

Parodontitis ist eine Volkskrankheit. Warum ist es so stark verbreitet?

Wir haben in Deutschland über 11 Mio. Menschen, die daran erkrankt sind. Für die Patienten ist es meist gar nicht spürbar. Das ist das große Problem. Es ist eine schleichende, entzündlich-bakterielle, chronische Erkrankung.

Sie verläuft relativ unbemerkt ab, mit wiederkehrenden akuten Schüben. Dabei wird auch der Knochen angegriffen und der ganze Zahnhalteapparat kann durch die entzündlichen Schübe abgebaut werden. Wenn etwas schmerzt, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.

Warum ist eine Parodontitis so gefährlich?

Besonders gefährlich daran ist, dass sich die Entzündung nicht nur im Mund abspielt. Der gesamte Organismus ist betroffen. Parodontitis hat zum Beispiel enge Zusammenhänge mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Stoffwechselstörungen wie z.B. Diabetes. Die große Gefahr ist, dass das Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko bei Parodontitis-Patienten ansteigt, weil es durch die erhöhten Entzündungsfaktoren leichter zu Verstopfungen in den Gefäßen kommt. Die Frühgeburtenraten sind bei diesen Patienten ebenfalls erhöht.

Eine intensive Patientenbetreuung ist Dr. Maryam Ohling besonders wichtig (Copyright: Zahnärzte am Kaiserplatz)

Wie kann ein Patient das Entstehen einer Parodontitis bestmöglich verhindern? 

Die Hauptursache für Parodontitis sind bakterielle Beläge. Der Patient sollte daher auf die häusliche Zahnpflege und auf die richtige Zahnputztechnik achten.

Wichtig ist, dass er regelmäßig zur Kontrolle und zur Prophylaxe geht. Wenn man einen guten Zahnarzt und eine fitte Dentalhygienikerin hat, die beide genau hinschauen, kann man recht viel verhindern.

An welchen Symptomen kann ein Patient erkennen, dass es sich nicht nur um eine „normale“ Zahnfleischentzündung (Gingivitis) handelt, sondern um eine beginnende Parodontitis?

Er kann das eigentlich kaum selbst erkennen. Die Patienten merken erst etwas, wenn es stark blutet. Viele wundern sich über ihren Mundgeruch und möchten wissen, was los ist. Wenn man die Zahnfleischtaschen ganz leicht berührt, kommt oftmals Eiter heraus. Dies bleibt jedoch für die Patienten in der Regel unbemerkt. Wenn sie erst dann kommen, ist die Entzündung leider schon weit fortgeschritten.

Die Verantwortung liegt beim behandelnden Arzt. Deswegen ist es so wichtig, dass der Behandler bei jeder Kontrolle überprüft, wo der Patient parodontologisch steht. Bei der Anamnese ist es ganz wichtig, sich nach Herz-Kreislauf- und Stoffwechsel-Erkrankungen (z.B. Diabetes) zu erkundigen. Je nach vorhandenen Belägen oder Blutungen, befragen wir den Patienten direkt, ob er unter schlechtem Geschmack oder Geruch leidet. Auch die familiäre Anamnese spielt eine wichtige Rolle. Und beim ersten Mundbefund sollte bei jedem Patienten immer routinemäßig eine PSI (Parodontal Screening Index) durchgeführt werden.

Um was handelt es sich beim PSI (Parodontal Screening Index) genau?

Mit diesem Index wird der Patient parodontologisch kategorisiert. Die Zahnfleischtaschen werden dabei stichpunktartig überprüft. Das dauert oftmals nur wenige Minuten. Der Index geht von 1 bis 4. Bei einem Index von 3 bis 4 weiß ich, dass der Patient wirklich ein parodontologisches Problem hat und weiterführende Maßnahmen einzuleiten sind. Auch das Überprüfen der Tasche im 1er und 6er Bereich ist entscheidend, vor allem bei jungen Patienten. Sind diese betroffen, hat der Patient in der Regel ein bakterielles Problem.

Parodontitis-Patienten brauchen eine sehr intensive Betreuung (Copyright: Zahnärzte am Kaiserplatz)

Wie gehen Sie bei ein einer systematischen Parodontitis-Therapie vor?

Generell kläre ich Parodontitis-Patienten unmittelbar nach dem Erstbefund genauestens über ihre Erkrankung auf. In der Prophylaxe-Abteilung werden die Patienten bezüglich ihrer Mundhygiene instruiert, zu Gewohnheiten und familiärer Häufung befragt. Dann vermessen wir die Tiefe der Zahnfleischtaschen und aktualisieren, falls nötig, das Röntgenbild. Anschließend nehme ich den Parodontitis-Plan auf und reiche ihn bei der Kasse ein. In manchen Fällen wird zusätzlich auch ein Bakterienabstrich entnommen.

Sobald der Plan genehmigt ist, werden bei den leichteren bis mittelschweren Formen ein bis zwei eng aneinander liegende Behandlungstermine für eine „geschlossene“ Parodontitis-Therapie (Anmerkung: AIT- antiinfektiöse Therapie nach neuen Richtlinien) vereinbart. Dabei werden die Taschen unter Lokalanästhesie gereinigt. Zunächst führe ich mechanisch eine Tiefen Kürettage per Hand und  Air-Scaler durch. Anschließend wird bei der Anti-Infektiösen-Therapie (AIT) ein desinfizierenden Gel in die Taschen injiziert. Für zu Hause erhält der Patient noch eine Mundspülung. Außerdem muss er seine Zahnbürste wechseln, damit die Bakterien nicht weiter transportiert werden.

Wie läuft eine „geschlossene“ Parodontitisbehandlung bei schweren Fällen ab?

Tritt Eiter aus den Zahnfleischtaschen aus, liegt meist eine aggressive Form vor. Zusätzlich zum generellen Ablauf, müssen wir bei schweren Fällen für die anschließende Behandlung einen mikrobiologischen Abstrich vornehmen. Außerdem benötigen wir ein Antibiotikum, das genau auf die jeweiligen Keime abgestimmt ist.

Das systemische Antibiotikum muss am Abend vor der Behandlung eingenommen werden. Manchmal reicht aber auch ein lokales Antibiotikum, das direkt in die Zahnfleischtasche eingegeben wird. Bei diesen Patienten ist es noch wichtiger, die Termine nah zusammen zu legen, damit wir die Keime wirklich wegbringen. Und wir müssen noch engmaschiger kontrollieren und gegebenenfalls nachtesten.

Ist die Parodontitis Behandlung schmerzhaft?

Nein, eigentlich nicht. Die Patienten sind meist sehr überrascht, wie wenig es weh tut. Man muss es aber richtig machen und vorsichtig arbeiten. Zudem führe ich eigentlich keine Parodontitis-Behandlung ohne Spritze durch – außer der Patient möchte absolut keine. Die Spritzen sind das unangenehmste, aber da wir eine Oberflächenanästhesie machen, ist das alles sehr erträglich. 

Kann eine Parodontitis erfolgreich behandelt werden. Wie groß sind Ihrer Meinung nach die Chancen auf Zahnerhalt und eine vollständige Ausheilung?

Eine Parodontitis-Erkrankung ist eine chronisch, bakterielle Entzündung des Zahnfleisches und des Zahnhalteapparates. Sie wird oft spät entdeckt, weil die Patienten meist keinerlei Schmerzen verspüren (Bildrechte: Zahnärzte am Kaiserplatz)

Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt wirklich auf die Verlaufsform an und in welchem Stadion der Patient zu uns kommt. Eine rein plaque-induzierte Parodontitis kann am leichtesten behandelt werden. Bei diesen Patienten kann man es schaffen, dass es tatsächlich ausheilt. 

Bei Patienten mit tieferen Taschen ist eigentlich immer das Ziel, dass wir die Situation halten und wir die Zähne erhalten. Ich mache das jetzt seit über 30 Jahren und habe Parodontitis-Patienten, die über Jahre und Jahrzehnte zu mir kommen. Der eigene Zahn ist im Vergleich zum Implantat immer die bessere Wahl. Wir vermeiden den Verlust der meisten Zähne über diese Behandlungen. Man kann damit sehr viel erreichen, aber man kann nicht alles ausheilen.

Patienten mit sehr aggressiven Formendie stark bakteriell belastet sind, müssen noch engmaschiger kontrolliert werden. Sie müssen auch selbst sehr aufmerksam sein. Bluten, Sekretion oder schlechter Geschmack sind deutliche Warnzeichen. Wenn wir irgendwo noch Resttaschen mit 6mm Tiefe haben, dann können sich dort die Bakterien wieder vermehren. Das ist das eigentliche Problem für diese Patienten. Man kann sie begleiten, damit die Situation nicht schlechter wird, aber ausheilen kann man diese schweren Fälle eigentlich so gut wie nicht. Das ist leider so.

Wäre eine „offene“ Parodontitis-Behandlung, also eine Behandlung mit einem chirurgischen Eingriff, bei schweren Fällen von Vorteil?

Absolut, durch das chirurgische Öffnen der 4-6mm tiefen Taschen kommen wir erst richtig an die ganze Situation heran. Dabei wird das entzündete Gewebe aus den Taschen herausgeholt und die Wurzeloberflächen unter Sicht gereinigt. Anschließend können wir versuchen, den Kieferknochen mit regenerativen Materialien wie dem Schmelz-Matrix-Protein „Emdogain“ zu regenerieren. Leider machen wir es zu selten, denn meistens wollen die Patienten diese chirurgischen Maßnahmen nicht – einerseits, weil sie zu viel Angst davor haben, andererseits weil es von der Kasse zu schlecht honoriert wird und der Patient mit höheren Eigenkosten zu rechnen hat.

Für die chirurgische Behandlung wird also nichts von der gesetzlichen Kasse bezahlt?

Das Problem ist, dass man zu wenig Erstattung erhält, so dass wir es nicht zu Kassenrichtlinien machen können. Das schon erwähnte „Emdogain“ kostet pro Packung 120 Euro und das reicht nur für zwei bis drei Zähne. Meistens muss man jedoch mehr als drei Zähne behandeln. Da wären die Patienten inklusive des Behandlungshonorars sehr schnell bei 1000 Euro und mehr. Viele scheuen sich, dieses Geld in die Hand zu nehmen.

Die gesetzliche Krankenkasse bezahlt also nur die Grundversorgung einer geschlossenen Parodontitisbehandlung?

Genau, ich muss also immer erst versuchen, alles konservativ, also mit einer geschlossenen Parodontitisbehandlung in den Griff zu bekommen. Für die offene Parodontitisbehandlung mit chirurgischen Eingriffen ist es ganz schwierig, von der Kasse einen Zuschuss zu bekommen. Alles, was ein wenig über die geschlossene Reinigung hinaus geht, müssen die Patienten immer privat bezahlen. Und manchmal braucht man noch Extra-Sitzungen, das ist ebenfalls Eigenleistung.

Worin liegt der Unterschied zu einer modernen, hochwertigen Behandlung und was sind die Vorteile für die Patienten?

Es gibt natürlich schon Unterschiede. Nach reinen Kassenrichtlinien wird zum Beispiel der Bakterientest nicht bezahlt. Auch die Möglichkeit der Langzeitdesinfektion wird nicht übernommen. Dabei wird ein kleiner Chip mit dem Mittel Chlorhexidin in eine einzelne, tiefe Tasche eingegeben und über eine Woche hinweg gleichmäßig abgegeben. Der mikrobiologische Abstrich und das Abschätzen des genetischen Risikos sind ebenfalls privat zu bezahlen. Gerade bei Patienten, die einen aggressiven Verlauf haben, schauen wir uns gerne das genetische Risiko anhand eines zusätzlichen genetischen Tests an. Und die schon erwähnte lokale Antibiose oder das Schmelz-Matrix-Protein Emdogain, zum Knochenaufbau, werden ebenfalls nicht übernommen. Das kann man inzwischen übrigens ohne eine chirurgische Maßnahme unter Anästhesie in die Knochentasche einfüllen. Das  verstehe ich unter moderner Zahnheilkunde, es ist aber leider keine Kassenleistung.

Mit welchen weiteren Kostenfaktoren müssen Parodontitis-Patienten rechnen?

Gerade wenn Parodontitis-Patienten mit einem schweren Verlauf Zähne verlieren oder unter Knochenschwund leiden, können oft hohe Kosten auf sie zukommen. Häufig muss doch chirurgisch mittels Knochenaufbaus gearbeitet werden und manchmal ist das Implantat die einzige Lösung. Darauf kommt dann am Ende natürlich noch die Krone, also der sichtbare Zahnanteil. Dies sind alles keine Kassenleistungen. 

Was mich immer etwas ärgert: Alle Behandlungen, die mit Implantaten zu tun haben, werden nicht von der gesetzlichen Kasse übernommen. Aber gerade an der Implantat-Oberfläche sitzen gerne Bakterien, weshalb ich bei einer Parodontitis-Erkrankung auch eine Implantat-Reinigung vornehmen muss. Für die Reinigung seiner Implantate muss der Patient in die eigene Tasche greifen. Nur für den Rest der Zähne wird die Parodontitis-Behandlung von der Kasse bezahlt. Das ist etwas, was sich ändern müsste, denn es gibt so viele Patienten mit Implantaten. 

Wie läuft die Nachsorge ab? Was können die Patienten langfristig gegen eine erneute Erkrankung tun? 

Die Patienten werden über die Einteilung des Schweregrades automatisch in bestimmte Nachsorge-Intervalle eingeteilt. Aber ganz unabhängig davon, schauen wir uns etwa 2-3 Wochen nach der Parodontitis Behandlung das Ergebnis an. Alle Patienten werden dann innerhalb unserer professionellen Zahnreinigungsabteilung intensiv betreut. Die leichten Fälle kommen alle 6 Monate zur Prophylaxe, bei den schweren Fällen ist es alle 3-4 Monate notwendig.

Die Taschentiefe wird etwa ein halbes Jahr nach Abschluss der Behandlung wieder nachgemessen. Sollten wir dabei eine Verschlechterung feststellen, wird wieder eine Tiefenreinigung bei der Kasse beantragt.

Alle zwei Jahre können wir diese Parodontitis-Behandlung bei der Kasse beantragen. Und wenn zum Beispiel 1 Jahr nach der Behandlung nochmal eine Tasche nachgereinigt werden müsste, dann muss der Patient das selbst bezahlen.

Sind private Zusatzversicherung bereits an der Tagesordnung bzw. erkundigen sich Ihre Patienten nach geeigneten Möglichkeiten? 

Ich spreche es persönlich eigentlich immer bei den Patienten an, wenn ich der Meinung bin, irgendwann einmal etwas auf sie zukommen könnte. Zum Beispiel auch, wenn ich sehe, dass ältere Füllungen vielleicht in der Zukunft einmal undicht werden könnten. Besonders beim ersten Befund sollte der Patient unbedingt darüber aufgeklärt werden, womit er einmal rechnen müsste.

Was würden Sie sich wünschen (z.B. von der Branche/Patienten/Politik), wenn Sie einen Wunsch frei hätten? Was würden Sie ändern?

In den letzten 30 Jahren ist immens viel an Bürokratie hinzugekommen. Das ist es, was den Beruf ein wenig beeinträchtigt. Mein Wunsch wäre es, mich einfach nur auf das Wohl des Patienten zu konzentrieren und mich mit modernen Techniken auseinander setzen zu können. Das würde mir natürlich sehr viel mehr Spaß machen, als die Kostenaufklärung, die ich oft machen muss. Denn ich liebe die Zahnheilkunde und es ist einfach wahnsinnig schön, das Beste, was man kann, dem Patienten geben zu können.

Sonja Zajontz

Verfasst von Sonja Zajontz
am 18. März 2022 unter Zahnärzte stellen sich vor .